Zum 21. Juni 2016 lief die Frist für den Widerruf von Immobiliardarlehensverträgen, die im Zeitraum 01.08.2002 bis 10.06.2010 geschlossen worden waren, ab, sofern sich der Widerruf auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung gründet. Grundsätzlich weiterhin möglich bleibt ein Widerruf von folgenden Verbraucherdarlehensverträgen:
- Immobiliardarlehensverträge, die in der Zeit vom 01.09.2002 bis 10.06.2010 vereinbart und für die keine Widerrufsbelehrung erteilt wurde;
- Darlehensverträge, die zwar in dem Zeitraum 01.09.2002 bis 10.06.2010 vereinbart wurden, aber nicht durch ein Grundpfandrecht besichert sind bzw. waren*, und mithin nicht als Immobiliardarlehen im Sinne des § 492 Abs. 1a Satz 2 BGB in der Fassung vom 01.08.2002 bis 10.06.2010 gelten;
- Immobiliardarlehensverträge, die ab dem 11. Juni 2010 vereinbart worden sind (es zählt das Datum der Unterschrift!) und bei denen nicht das gesetzliche Muster 1:1 übernommen wurde.
Ein Widerruf dieser Verträge ist dann möglich, wenn das Widerrufsrecht mangels Fristablaufs noch fortbesteht. Einem Fristablauf kann entgegenstehen, dass die Belehrung fehlerhaft ist oder aber überhaupt nicht erteilt wurde.
Ein häufig anzutreffender Fehler in Widerrufsinformationen aus der Zeit nach dem 11. Juni 2010 findet sich bei den Angaben zum Fristbeginn. Da in dem Zeitraum 11.06. bis 29.07.2010 ein gesetzliches Musterformular aufgrund des noch andauernden Gesetzgebungsverfahrens nicht vorlag, haben einige Kreditinstitute vorsorglich die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagene Variante des Musterformulars (vgl. Gesetzesentwurf vom 26.03.2010 – BR-DRS 157/10 und vom 19.04.2010 – BT-DRS 17/1364) übernommen. Vor dem Inkrafttreten am 30.07.2010 kam es dann aber noch zu einer Änderung der beispielhaft aufgezählten Pflichtangaben, die nicht sofort von allen Kreditinstituten berücksichtigt wurde.
Im gesetzlichen Musterformular heißt es wie folgt:
Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.
In einigen Widerrufsinformationen findet sich hingegen folgender Satz zum Fristbeginn:
Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach §492 Absatz 2 BGB (z.B. Angabe des effektiven Jahreszinses, Angaben zum einzuhaltenden Verfahren bei Kündigung des Vertrags, Angaben der für den Darlehensgeber zuständigen Aufsichtsbehörde) erhalten hat.
Tatsächlich gehört die Angabe der Aufsichtsbehörde nicht zu den in Art. 247 § 9 EGBGB benannten Pflichtangaben. Schon aus diesem Grund ist eine Widerrufsinformation, die diese Pflichtangabe zur Voraussetzung des Fristbeginns macht, fehlerhaft. Zudem enthalten die Darlehensverträge – soweit bekannt – diese Angabe auch nicht. Damit ist der Fristbeginn auch aus diesem Grund nicht in Gang gesetzt und ein Widerruf möglich.
Die Fehlerhaftigkeit der vorgenannten Widerrufsinformation ist inzwischen von mehreren Gerichten bestätigt worden, so u.a. vom Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 06.01.2016 und vom Oberlandesgericht München mit Urteil vom 22.05.2015 sowie vom Landgericht Ravensburg mit Urteil vom 19. November 2015 und vom Landgericht Hamburg mit Urteil vom 13.11.2015.
Zudem sehen die vorgenannten Gerichte die in Rede stehende Formulierung schon deshalb als fehlerhaft an, weil sie dem Verbraucher durch die bloß beispielhafte Aufzählung der Pflichtangaben ein nicht zumutbares Gesetzesstudium auferlege. Selbst bei zutreffender Wiedergabe der im Musterformular beispielhaft genannten Pflichtangaben soll die Widerrufsbelehrung daher fehlerhaft sein.
Ein Widerruf ist daher nach Auffassung dieser Gerichte auch dann möglich, wenn das Musterformular zwar hinsichtlich des Fristbeginns zutreffend übernommen wurde, das Kreditinstitut aber im Übrigen eine von dem gesetzlichen Musterformular abweichende Widerrufsinformation verwendet hat. Das ist zum Beispiel bei vielen der von den Sparkassen verwendeten Widerrufsinformationen mit Ankreuzoption der Fall. Das gesetzliche Muster sieht solche Ankreuzoptionen nicht vor. Insofern ist hier die gesetzliche Schutzfiktion zu versagen (BGH, Urteil vom 23.02.2016 – XI ZR 101/15). In seiner ganz aktuellen Entscheidung vom 12.07.2016 (XI ZR 564/15) hat der BGH nun ganz ausdrücklich festgehalten, dass jedwede Abänderung des Musters, die nicht im Gesetz vorgesehen ist, der Schutzfiktion entgegensteht. Damit ist der Diskussion, „was geht noch und was nicht“ endlich ein Riegel vorgeschoben. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Landgerichte und Oberlandesgerichte nun an diese Vorgabe bei der Beurteilung von Widerrufsbelehrungen halten werden.
Gern überprüfe ich für Sie, ob der von Ihnen geschlossene Darlehensvertrag widerrufbar was gegebenenfalls zu unternehmen ist.
* Bei Verträgen, die zwischenzeitlich vollumfänglich beendet (abgewickelt) sind, ist allerdings zu beachten, dass hier möglicherweise der Einwand der Verwirkung oder der unzulässigen Rechtsausübung greift. Hierzu steht eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes weiterhin aus. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist uneinheitlich. Allerdings hat der BGH in einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 2008 eine Verwirkung verneint. In seiner Entscheidung vom 12. Juli 2016 (XI ZR 564/15) hat der BGH zur Verwirkung insoweit Stellung genommen, als er ein schutzwürdiges Vertrauen der Bank jedenfalls nicht schon deshalb als gegeben erachtet, weil der Verbraucher den Darlehensvertrag jahrelang bedient hat. Es komme auch nicht darauf an, wie schwerwiegend der Fehler ist, der zur Unwirksamkeit der Widerrufsbelehrung führt. Die Bank werde nicht unbillig belastet, da sie immerhin während der Schwebezeit die – gesetzlich vorgesehene ! – Möglichkeit der Nachbelehrung habe.
28.06./24.10.2016 – © Kathrin-Elisabeth Commandeur